Filesharing – Haften Eltern für ihre minderjährigen Kinder?
Oberlandesgericht Köln - Urteil vom 23.03.2012, Aktenzeichen 6 U 67/11
Das Oberlandesgericht Köln hat sich kürzlich in einer weiteren Entscheidung mit der Haftung von Dritten in den sog. Filesharing-Fällen befasst. Das OLG bestätigte das Urteil des LG Köln vom 30.3.2011 (Az.: 28 O 716/10), mit dem die Eltern eines minderjährigen Sohnes zu Schadensersatz in Höhe von 3.000,- € und zur Erstattung von Abmahnkosten in Höhe von 2.380,- € verurteilt worden waren.
Über 1000 Musik-Dateien
Der 13-jährige Sohn der Beklagten hatte über seinen PC und den Internetzugang der Beklagten in einer Online-Tauschbörse über eintausend Musikdateien zum Download angeboten. Für 15 der öffentlich zugänglich gemachten Musikdateien hatte das Landgericht die Beklagten zu je 200,- € Schadensersatz verurteilt. Das OLG bestätigte sowohl die – von den Beklagten angegriffene -Schadensberechnung nach der Lizenzanalogie als auch den für die Rechtsanwaltskosten (Abmahnkosten) zugrunde gelegten Streitwert in Höhe von 200.000,- €. Zudem nimmt das Urteil ausführlich Stellung zu der Aktivlegitimation der Klägerinnen - der vier großen Musikverlage EMI, Sony, Universal und Warner - in diesem Prozess. Allerdings hat das OLG Köln die Revision zum BGH zugelassen, da die Frage der Schadensberechnung bei urheberrechtswidriger Nutzung von Musiktiteln durch Teilnahme an einer Tauschbörse im Internet nicht höchstrichterlich geklärt ist. Des Weiteren hielt das OLG die vom LG Köln bejahte Haftung der aufsichtspflichtigen Beklagten für berechtigt.
Verantwortung bei Filesharing
Auch die Frage der Verantwortlichkeit Dritter in sog. Filesharing-Fällen ist im deutschen Recht nicht abschließend geregelt und von der Rechtsprechung werden bisher unterschiedliche Maßstäbe angesetzt. Es fehlt hierzu bisher höchstrichterliche Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu den einzelnen Konstellationen der Haftung Dritter (Internetanschlussinhaber).
Haftung von Eltern
Die Haftung der Eltern wird hier aus §§ 97 Abs. 2, 19 a UrhG, § 832 Abs. 1 BGB hergeleitet. § 832 Abs. 1 BGB regelt dabei die Aufsichtspflicht über minderjährige Kinder und die sich bei deren Verletzung ergebende Haftung der Eltern.
Der Bundesgerichtshof als oberstes deutsches Zivilgericht in Karlsruhe hat sich bisher erst einmal zur Haftung Dritter in Filesharing-Verfahren geäußert, in seinem Urteil vom 12.05.2010 (Az.: I ZR 121/08 – „Sommer unseres Lebens“). In diesem Fall ging es um die Haftung des Anschlussinhabers als sog. Störer für ein nicht ausreichend gesichertes W-LAN und somit um eine etwas andere Fallkonstellation. Der BGH hat allerdings in diesem Urteil festgestellt, dass zugunsten der Rechteinhaber eine grundsätzliche Vermutung dahingehende besteht, dass der Anschlussinhaber für Rechtsverletzungen verantwortlich ist, die von seinem Internetanschluss aus begangen werden. Dies soll nicht nur in den W-LAN-Fällen gelten sondern auch für die Anschlussinhaber, die gleichzeitig aufsichtspflichtige Eltern minderjähriger Kind sind.
Eine Haftung soll allerdings dann nicht eingreifen, wenn gegebenenfalls zu beweisende Tatsachen die ernsthafte Möglichkeit eines abweichenden Geschehensablaufs begründen. Im vorliegenden Fall ist unstreitig, dass nicht die Anschlussinhaber (die Beklagten) selbst sondern ihr minderjähriger Sohn die Taten begangen hatte. Eine Exkulpation wäre somit nur durch die Erfüllung aller die Eltern treffenden Aufsichtspflichten möglich.
Wie weit geht die Aufsichtspflicht?
Das LG Köln und auch das OLG in seiner aktuellen Entscheidung sahen die Aufsichtspflichten der Beklagten als nicht ausreichend erfüllt an. Die Aufsichtspflicht der Eltern umfasst dabei sowohl Aufklärungs- als auch Überwachungs- und Handlungspflichten. Wie weit diese Pflichten gehen, ist von der Rechtsprechung in Deutschland weiterhin nicht einheitlich entschieden. Die Kölner Gerichte vertreten in dieser Konstellation generell eine strengere Auffassung.
Das OLG Köln führt hierzu aus, dass die Eltern die Pflicht trifft, die minderjährigen Kinder nicht nur vor eigenem Schaden zu bewahren, sondern ebenfalls vor Schaden zu schützen, der bei einem durch altersbedingte Unachtsamkeit herrührenden Eingriff des Kindes in Rechte Dritter entstehen kann.
Das Gegenargument der Beklagten, dass der Anschlussinhaber nicht die Aufgabe habe, fremde Rechte zu schützen, verwirft das Gericht mit der Argumentation, die Aufsichtspflichten aus § 832 Abs. 1 BGB sollen auch Rechtspositionen Dritter schützen.
Das Gericht führt zu den Aufsichtspflichten aus:
„Es ist den Beklagten einzuräumen - von der Kammer indes auch beachtet worden -, dass sich das Maß der gebotenen Aufsicht und Kontrolle nach dem Alter sowie der Eigenart und dem Charakter des betreffenden Kindes und auch danach richtet, was den Eltern in ihren jeweiligen Verhältnissen zugemutet werden kann, wobei auch die zur widerrechtlichen Schadenszufügung führenden Umstände zu berücksichtigen sind (ständige Rechtsprechung vgl. z.B. BGHZ 111,282,285; BGH NJW 2009, 1954 Rz. 8 m.w.N.).“
Indes bleibt das Gericht, auch unter Zugrundlegung der obigen Ausführungen, der Ansicht, dass die Aufsichtspflichten vorliegend im Ergebnis nicht ausreichend erfüllt waren.
Es ist angemessen, einem 13-Jährigen den selbstständigen Umgang mit dem Computer zu gestatten. Allerdings müssen dafür Verhaltensregeln aufgestellt und Kontrollen durchgeführt werden. Das OLG geht auch zunächst davon aus, dass die Eltern diesen im Ausgangspunkt auch nachgekommen seien, durch Aufspielen einer Firewall und eines Securityprogramms mit Administrativpasswort, das die Installation neuer Programm unterbinden sollte. Das Gericht ist auch der Auffassung, dass durch diese Maßnahmen einem 13-Jährigen deutlich geworden sein muss, dass das Herunterladen weiterer Programme nicht erlaubt war.
Dennoch kommt das Gericht zu dem Ergebnis, dass die von den Beklagten dargelegten Maßnahmen nicht ausreichend umgesetzt worden seien. Das begründet das Gericht u.a. damit, dass es dem Sohn dennoch möglich war, zwei Filesharing-Programme auf den Computer zu spielen und der Vater dies, trotz der vorgetragenen monatlichen Kontrollen, nicht entdeckt haben will. Die Eltern hätten öfter oder anders überwachen müssen, so das OLG Köln.
Zusammenfassend wird somit zwar eine Kontrolle der Eltern angenommen, diese soll jedoch nicht ausreichend gewesen sein. Dies wirft wieder die - bereits viel diskutierte - Frage auf, wie weit die Aufsichtspflichten der Eltern im Einzelfall geht.
Fazit und Ausblick
Der Fall ist insoweit nicht verallgemeinerbar, als er eine Konstellation betrifft, die es in den letzten Jahren kaum noch gab: Es wurden gleich über tausend Titel durch mehrere Musik-Firmen abgemahnt. Derartige Abmahnungen wurden zu Beginn des „Abmahn-Zeitalters“ vor allem durch die Kanzlei Rasch Rechtsanwälte aus Hamburg verschickt. Viele dieser Fälle sind inzwischen verjährt. In den letzten Jahren wurden meist nur einzelne Titel oder Alben abgemahnt. Die Szene der Abmahnkanzleien ist bunter geworden.
Gleichwohl ist die Rechtsfrage, die durch das OLG Köln (noch nicht abschließend) entschieden wurde, in hunderttausenden von aktuellen Fällen immer noch aktuell.
Sollte sich die Auffassung der Kölner Richter durchsetzen, ist es fraglich, wie Eltern sich in Zukunft überhaupt noch schützen können. Denn es ist davon auszugehen, dass Jugendliche immer schnellere, bessere Möglichkeiten finden werden, Sicherungsvorkehrungen zu umgehen. Die Generation der heutigen Jugendlichen wächst auf völlig andere Weise mit dem schnelllebigen Internet auf als noch die Generation vorher. Selbst junge, internetaffine Eltern können dabei an ihre Grenzen stoßen.
Auf der anderen Seite haben die Gerichte die - grundsätzlich wichtige - Aufgabe, den Aufsichtspflichtigen deutlich zu machen, welche Möglichkeiten für Rechtsverletzungen im Internet bestehen und dass es heutzutage unumstritten zur Aufsichtspflicht gehört, sich mit diesen Gefahren der Rechtsverletzungen eingehend auseinanderzusetzen.
Insofern besteht weiterhin sehr viel Diskussionspotential hinsichtlich der Frage, was die Aufsichtspflicht der Eltern als Internetanschlussinhaber ihren minderjährigen Kindern gegenüber umfasst. Das OLG Köln hat die Revision zum BGH zugelassen. Es ist davon auszugehen, dass die Beklagten Revision gegen das Urteil des OLG Köln einlegen werden. Der BGH bekommt somit in einem weiteren Fall die Möglichkeit, diese offenen Rechtsfragen zu klären. Es ist dabei zu hoffen, dass der BGH eine den heutigen Zeiten entsprechende Grundsatzentscheidung auch in Bezug auf die Aufsichtspflichten der Eltern im Zusammenhang mit der Internetnutzung fällen wird, deren Grundsätze auf weitere Filesharing-Fälle übertragen werden können.