Abmahungen bei Filesharing
Einige Kanzleien in Deutschland haben sich darauf spezialisiert, im Namen der Unterhaltungsindustrie reihenweise Abmahnungen an Internetnutzer zu verschicken. Adressaten der Abmahnung sind in der Regel Nutzer sogenannter Filesharing-Programme, d.h. von Tauschbörsen, mit denen Internetanwender untereinander Musik, Filme, Software usw. austauschen. Bekannte Abmahnkanzleien sind dabei die Rechtsanwaltskanzlei Rasch aus Hamburg (z.B. für die Universal Music GmbH), die Kanzlei Waldorf aus München (z.B. für Sony BMG Music Entertainment), die Kanzlei Schutt & Waetke aus Karlsruhe (z.B. für Mick-Haig Productions USA Inc.).
In der Regel wird der Abgemahnte aufgefordert, eine Unterlassungserklärung abzugeben, außerdem werden Schadensersatzansprüche und Gebührenerstattungsansprüche geltend gemacht. Teilweise wird auch mit Strafanzeigen wegen (angeblichen) Verstoßes gegen § 106 UrhG gedroht.
Viele der Abgemahnten haben in ihrem Leben zum ersten Mal mit einem Rechtsanwalt zu tun und überschätzen entweder die tatsächliche Gefahr, die von entsprechenden Schreiben ausgeht, oder nehmen diese nicht ernst.
Auf keinen Fall sind folgende Kurzschlussreaktionen empfehlenswert:
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Anruf bei der Abmahnkanzlei und Mitteilung, dass ein minderjähriger Familienangehöriger, ein WG-Mitglied, der Freund usw. sich am File-Sharing beteiligt hatte.
Je mehr Informationen die Abmahnanwälte haben, umso größer ist die Wahrscheinlichkeit einer gerichtlichen Auseinandersetzung.
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Abgabe der Unterlassenserklärung in der Formulierung, wie sie von den Abmahnanwälten vorgegeben wird.
In den vorformulierten Mustern finden sich häufig Fallen.
Hier besteht die Gefahr einer einstweiligen Verfügung, die erhebliche Gerichts- und Anwaltskosten nach sich ziehen kann.
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Zahlung der geforderten Summen, ohne vorherige Prüfung, ob bzw. in welcher Höhe die Ansprüche gerechtfertigt sind.
Viele der massenhaft verschickten Abmahnungen spiegeln vor, Widerstand sei zwecklos. Dies entspricht nicht immer der wahren Rechtslage.
1) Unterlassensanspruch
Bezüglich des Unterlassensanspruchs stellt sich nicht selten die Frage, ob ein Internetnutzer auch für Urheberrechtsverletzungen haftet, die durch Dritte begangen wurden, d.h. beispielsweise von minderjährigen Familienangehörigen oder WG-Mitbewohnern. Eine so genannte Störerhaftung, wonach den Inhaber eines Internetanschlusses sehr weit reichende Überwachungspflichten treffen, wird von deutschen Gerichten unterschiedlich beurteilt. Für den Abgemahnten stellt sich aber das Problem, dass er nur wenige Vorteile davon hat, wenn ein bestimmtes Gericht eine für ihn günstige Rechtsauffassung vertritt. Denn unstreitig ist, dass Urheberrechtsverletzungen, die im Internet begangen werden, überall „wirken“ und daher grundsätzlich auch vor jedem Gericht in Deutschland Klage eingereicht werden kann. Die Abmahnkanzleien, die genau wissen, wo sie eine abmahnfreundliche Rechtsprechung zu erwarten haben, nutzen dies natürlich zu ihrem Vorteil und wählen die Gerichte dementsprechend nach ihren Erfolgschancen aus.
Rechtsanwalt Dr. Tobias Rudolph empfiehlt daher in den allermeisten Fällen, es nicht auf einen Streit über die rechtlichen Hintergründe des Unterlassensanspruchs ankommen zu lassen. Daher sollte eine Unterlassenserklärung abgegeben werden. Meist finden sich in den vorformulierten Erklärungen der Abmahnanwälte jedoch Fallen bzw. viel zu weit gehende Verpflichtungen. Die Unterlassenserklärung auf ein notwendiges und rechtlich zulässiges Maß „zurecht zu stutzen“ ist eine rechtlich nicht ganz risikofreie Maßnahme, die auf jeden Fall durch einen spezialisierten Rechtsanwalt vorgenommen werden sollte.
2) Schadensersatzanspruch
Die von den Abmahnkanzleien geltend gemachten Schadensersatzansprüche sind kritisch zu betrachten. Zwar haftet gemäß § 97 UrhG grundsätzlich jeder, der eine Urheberrechtsverletzung begangen hat, dem Geschädigten für den daraus entstehenden Schaden. Höchst fraglich ist jedoch, ob dem Inhaber der Rechte an den Musiktitel oder anderen Werken tatsächlich durch das File-Sharing ein Schaden entstanden ist.
Es gibt grundsätzlich drei Möglichkeiten einen Schaden, der durch Urheberrechtsverletzungen entstanden ist, zu berechnen:
1. Die sogenannte Lizenzanalogie bedeutet, dass durch ein Gericht ermittelt wird, welcher Marktpreis für eine bestimmte legale Nutzung geistigen Eigentums besteht. Der Verletzer eines Urheberrechts muss dann dem Rechteinhaber einen Betrag bezahlen, der diesem Marktpreis entspricht.
Die Lizenzanalogie ist beispielsweise als Berechnungsmethode bei der ungenehmigten Verwendung von Stadtplänen im Internet anerkannt. Beim Austausch von Musik- oder Filmdateien durch File-Sharing ist zweifelhaft, ob es überhaupt einen allgemein anerkannten Markt für die Rechte an der Nutzung von Musiktiteln gibt. Einheitliche Richtlinien gibt es nicht.
2. Auch die sogenannte Gewinnabschöpfung führt regelmäßig zu keinem Schadensersatzanspruch beim Filesharing, da die Beteiligten in aller Regel kein Geld dafür erhalten, dass sie Titel der Filesharing-Gemeinschaft zum Download zur Verfügung stellen.
3. Eine konkrete Schadensberechnung würde voraussetzen, dass es dem Rechteinhaber gelingt, nachzuweisen, welcher konkrete Schaden im Einzelfall durch das Bereitstellen einer bestimmten Musikdatei durch den jeweiligen Nutzer entstanden ist. Dies ist angesichts der Tatsache, dass sich praktisch jedes Musikstück und auch fast jeder Film im Internet als komprimierte Datei finden lassen, kaum möglich. Das Amtsgerichts Offenburg hat in seiner Entscheidung vom 20.07.2007 (Az. 4 Gs 442/07) eine Harvardstudie aus dem Jahr 2004 zitiert, die zu dem Ergebnis kommt, dass tatsächlich der Schaden, der der Musikindustrie durch Tauschbörsen entstanden ist, gegen Null tendieren soll. Bei weniger bekannten Künstlern wird sogar von dem Phänomen berichtet, dass eine Verbreitung ihrer Musik in Tauschbörsen zum kommerziellen Durchbruch geführt hat.
Im Ergebnis sollte man, bevor man den in einer Abmahnung behaupteten Schadensersatzanspruch anerkennt, sehr genau überprüfen, ob bzw. in welcher Höhe eine solcher überhaupt begründet ist.
3) Rechtsanwaltsgebühren
Bezüglich des Gebührenerstattungsanspruchs, der i.d.R. von den Abmahnanwälten gefordert wird, bahnt sich eine aktuelle Diskussion an, die das gesamte Abmahnwesen grundlegend verändern könnte. Im Mittelpunkt der Diskussion steht dabei die vermutete Praxis vieler Abmahnanwälte, ihren eigenen Mandanten (d.h. der Musik- und Filmindustrie) bei Massenabmahnungen nicht wie üblich für jeden Einzelfall die entstandenen Kosten in Rechnung zu stellen, sondern anhand von internen Erfolgsabsprachen abzurechnen.